Musso, Guillaume by Sieben Jahre spaeter

Musso, Guillaume by Sieben Jahre spaeter

Autor:Sieben Jahre spaeter
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


Kapitel 29

19. Arrondissement

Das Quartier d’Amérique – einst waren dies die Steinbrüche, in denen Gips- und Silikatgestein abgebaut wurden – ist den meisten Parisern nur wenig bekannt. Seinen Namen bekam es von der Legende, man habe aus diesem Gestein die Freiheitsstatue und das Weiße Haus erbaut. Das stimmt zwar nicht, ist aber eine schöne Geschichte. Während der Trente Glorieuses, der dreißig goldenen Nachkriegsjahre, wurde zwecks sogenannter Modernisierung der größte Teil des Stadtviertels abgerissen. An seine Stelle traten deprimierende Häuserblocks und hässliche Türme, die jetzt den Norden der ehemaligen Gemeinde Belleville verschandelten. Zwischen dem Parc des Buttes-Chaumont und dem Périphérique eingezwängt, lag als letztes Relikt einer vergangenen Zeit die Rue Mouzaïa. Auf einer Länge von über dreihundert Metern gingen von ihr gepflasterte Sackgassen ab, die von kleinen Häuschen und ihren Gärten gesäumt waren.

In der Nummer 23 bis, einem Backsteinbau, klingelte das Telefon zum dritten Mal innerhalb von zehn Minuten, ohne dass jemand abgehoben hätte.

Dabei lag Constance Lagrange in ihrem Sessel im Wohnzimmer. Doch die halb geleerte Flasche Whiskey hatte sie so betrunken gemacht, dass sie, von der Welt abgeschnitten, vor sich hin dämmerte.

Drei Monate zuvor, am Tag ihres siebenunddreißigsten Geburtstags, hatte Constance drei Neuigkeiten erfahren – zwei gute und eine schlechte.

Als sie am 25. Juli morgens zur Arbeit gekommen war, hatte ihr Vorgesetzter, Hauptkommissar Sorbier, ihr ihre Beförderung zur Kommissarin in der angesehenen Brigade nationale de recherche des fugitifs, der Spezialeinheit zur Fahndung nach flüchtigen Straftätern, mitgeteilt.

Mittags hatte ihre Bank angerufen, um sie zu informieren, dass ihr Kreditantrag positiv beschieden worden war. Das gab ihr die Möglichkeit, endlich ihr Traumhaus in der Rue Mouzaïa, in jenem Viertel zu kaufen, das sie so sehr liebte.

Damals hatte Constance sich gesagt, dies sei ihr Glückstag. Doch am späten Nachmittag hatte sie von ihrem Arzt erfahren, dass bei der Computertomografie, die sie hatte machen lassen, ein Gehirntumor festgestellt worden war. Ein Glioblastom im fortgeschrittenen Stadium. Die schlimmste aller Krebsarten. Aggressiv, schnell wachsend und nicht operierbar. Man hatte ihr noch vier Monate gegeben.

Das Telefon, das am Boden lag, klingelte erneut. Diesmal drang der Ton bis in ihren unruhigen, von finsteren Bildern wuchernder Krebszellen bevölkerten Schlaf vor. Constance öffnete die Augen und wischte sich die Schweißperlen von der Stirn. Sie verharrte einige Sekunden reglos, kämpfte mit ihrer Übelkeit und wartete auf ein erneutes Klingeln, bevor sie die Hand ausstreckte. Sie sah die Nummer, die das Display anzeigte. Es war Sorbier, ihr ehemaliger Boss. Sie hob ab und ließ ihn reden.

»Was treiben Sie denn, Lagrange?«, schimpfte er. »Ich versuche schon seit einer halben Stunde, Sie zu erreichen.«

»Darf ich Sie daran erinnern, dass ich gekündigt habe, Chef?«, erwiderte sie und rieb sich die Augen.

»Was ist los? Haben Sie gesoffen oder was? Sie stinken nach Alkohol!«

»Reden Sie keinen Unsinn, wir sind am Telefon.«

»Sie sind sturzbetrunken, das riecht man bis hierher!«

»Also, was wollen Sie?«, fragte sie und rappelte sich mühsam auf.

»Wir müssen einem internationalen Amtshilfeersuchen der New Yorker Behörden Folge leisten. Zwei Amerikaner sind unverzüglich festzunehmen. Ein Mann und seine Exfrau. Eine große Sache, es geht um Drogen, Doppelmord und Flucht …«

»Warum hat sich der Richter nicht an die Pariser Kripo gewandt?«

»Keine Ahnung, ist mir auch egal.



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